Raum – Sonntag, 21.03.2021

„Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Matthäus 18.22

Ein Steg, der zum Horizont führt? Nein, ein Flur, der durch ein offenes Haus geht. Die Decke fehlt, die Verbindung nach oben ist direkt möglich. Menschen gehen über diesen Flur… Rechts und links sind Türen zu sehen. Gestern erst habe ich über Fenster gesprochen, darüber, was sich wohl hinter ihnen verbergen mag. Da gehen wir vorbei, stellen uns vor, was hinter diesen Fenstern geschieht, werden aber nie erfahren, was wirklich ist, weil es fremde Fenster sind, wir nicht eingeladen sind, hinter die Fenster zu schauen, die Wirklichkeit zu sehen.

Heute nun sind die Türen weit auf – und trotzdem ist nicht sichtbar, was hinter ihnen ist. Die Menschen auf dem Flur gehen an den Türen vorbei. Keiner biegt ab, klopft an, geht durch die Tür hindurch, in den Raum hinein. Was mag sich dort verbergen? Warum gehen sie weiter? Ist am Ende des Flures ein zu erstrebendes Ziel, das mehr wert ist, wichtiger ist als jede einzelne Tür?

Vielleicht haben sie keine Zeit um anzuhalten, reinzuschauen – schauen nur vorbei? Und ich fühle mich erkannt. Uns erkannt? Ich erinnere mich daran, wie oft mir Bewohner*innen aus Seniorenheimen gesagt haben: „ich bin hier so einsam, keiner kommt vorbei und schaut nach mir“. Auf meine Frage: „Und haben Sie schon mal bei der Zimmernachbarin geklopft?“, kam zumeist die Antwort: „das tut man doch nicht, wenn man nicht eingeladen ist.“

Ist diese Paradoxie genau der Punkt um den sich unser Sein dreht? Ich müsste ja nur? Ich könnte doch? Einfach nur einen Ruck geben, anklopfen, durchgehen und sehen, hören, staunen? Meine Neugier befriedigen, mein Interesse teilen, den Nächsten wahrnehmen? Aber ich habe doch keine Zeit…

Stellen Sie sich vor, die Bibel würde von einem Menschen erzählen, der so lebt: dann hätte es kein Essen bei Zachäus gegeben, keinen auferstandenen Lazarus, keine Hochzeit zu Kana, keine Begegnung mit der Kanaaniterin… Jesus wäre durch sein Leben gegangen, ohne Menschen anzusprechen, die er noch nicht kannte, ohne sich für ihre Geschichten zu interessieren, ohne die Menschen kennen zu lernen und so zu verstehen, was es heißt Mensch zu sein?

Eine zu große Herausforderung? Ich bin doch nicht wie er, ich bin doch einfach nur ein Mensch, ich will meine Ruhe und wer mit mir reden will, der muss sich doch nur melden… Und dann sitze ich an einem Sonntag da und wundere mich, dass keiner anruft und greife doch selbst nicht zum Telefon. Ziehe mich in meinen Sicherheitsraum zurück mit guter Musik, einem interessanten Buch und studiere das Leben der anderen ohne ihnen begegnen zu müssen.

In diesem Bild von Reinhard Knur begegnen sich für mich die Worte, die über der letzten Woche standen und die uns in der nächsten Woche begleiten werden: Da ist der Raum, der Lebensraum und da ist die Aufforderung Jesu nachzufolgen, seinen Spuren zu folgen und ich kann, ich muss mich nur fragen, wie nah lasse ich die Aufforderung des Doppelgebotes der Liebe an mich heran?

»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Matthäus 22, 37-39

Wenn wir so leben würden, dann, ja, dann sind immer zwei oder drei in seinem Namen beieinander.

Hören Sie „A Chloris“ von Reynaldo Hahn, gespielt von Erik Nestler am Saxophon und Yeain Lee am Flügel der Lutherkirche.

Ihre Pfarrerin Ulrike Veermann

Zeichnung: Reinhard Knur

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