Nähe – 30/40 – 23.03.2021

Ein russisches Märchen:

„Ein Rabbi kommt zu Gott:

„Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ – „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand.

Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen. Das herrliche Essen ist nicht zu genießen.

Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“ fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.

Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf.

Aber – ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen.

Da weiß der Rabbi, wo er ist.“

Eine einfache, schon oft erzählte Geschichte. Eine Geschichte von Himmel und Hölle. Eine Geschichte von Nähe und Ferne.

Man kann sich noch so nah sein, wenn man den anderen nicht sieht, dann ist auch die größte Nähe zugleich der einsamste Ort, die größte Entfernung zwischen Menschen.

Das kennen wir doch, ja, wie erinnern uns, wie wir in einer Menschengruppe einsam waren, umringt von vielen Menschen, damals als das noch ging, dicht an dicht auf einem Fest, ja, selbst in einer Kirche, auf dem Markt… Alle um uns herum ganz nah und doch so unendlich weit weg. Sie gehen vorbei, drängeln, wollen weiter und ich stehe da – und lasse sie passieren und bin mitten unter ihnen allein…

So sagt die Geschichte: Schau hin, denk nach, nimm wahr und wende dich dem anderen zu, und aus einem werden zwei, aus dreien mehr und mehr und die Erde könnte der Himmel sein.

Wenn wir doch nur die Augen öffneten, die Arme ausstreckten und …

Ja, dieses „und“ ist der Unterschied zwischen Nähe und Ferne. Eine Nähe von der Jesus einmal gesagt hat:

„Siehe ich bin bei Euch alle Tage…“ Matthäus 28,20

Nähe kommt durch ihn, leider entfernen wir uns immer wieder, also lassen Sie uns die langen Löffel in die Hand nehmen, nicht für uns, nein, für die anderen, dann werden am Ende auch wir satt werden.

Hören Sie „Er ist der Herrlichste von allen“ von Robert Schumann, gespielt von Erik Nestler am Saxophon und Yeain Lee am Flügel der Lutherkirche.

Ihre Pfarrerin Ulrike Veermann

Foto: Uwe Janser

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